Kostenbeteiligung an der Pilotenausbildung – Bundesarbeitsgericht konkretisiert Anforderungen an Rückzahlungsklauseln
Anmerkung zum Urteil des BAG vom 20. August 2024 – 9 AZR 259/23
Hintergrund des Verfahrens
In dem entschiedenen Fall ging es um einen Flugschüler, der bei einer Tochtergesellschaft der Airline beschäftigt werden sollte. Sein Ausbildungsvertrag bestand aus zwei Teilen:
- Schulungsvertrag zur fliegerischen Grundausbildung und
- Darlehensvertrag über 60.000 Euro, mit dem der Flugschüler seinen Eigenanteil an den Ausbildungskosten finanzieren sollte.
Der Flugschüler war der Auffassung, diese Vertragskonstruktion benachteilige ihn unangemessen, insbesondere deshalb, weil er das Risiko einer „wertlosen Teilschulung“ trage und unklar sei, ob er nach Abschluss der Grundschulung überhaupt im Konzern weiterbeschäftigt werde. Er verlangte daher die Rückzahlung bereits geleisteter Raten und begehrte die Feststellung, keine weiteren Raten zahlen zu müssen.
Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht gaben dem Flugschüler recht und hielten die vertraglichen Klauseln über die Kostenbeteiligung und Rückzahlung für unwirksam. Daraufhin legte die Airline (als Beklagte) Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) ein.
Kernaussagen des BAG
Das Bundesarbeitsgericht hob das Urteil des Landesarbeitsgerichts auf und verwies den Fall zurück. Entscheidend war für die Erfurter Richter:
- Einheitliches Rechtsgeschäft
Das BAG bestätigt, dass Schulungs- und Darlehensvertrag als einheitliches Rechtsgeschäft zu beurteilen sind. Beide Urkunden sind so eng miteinander verknüpft, dass sie rechtlich „miteinander stehen und fallen“ sollen. - Inhaltskontrolle der Rückzahlungsklauseln
Da hier Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) vorlagen, unterzog das BAG die Klauseln der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB. Wichtig ist, dass eine Kostenteilung bei Aus- und Fortbildungsmaßnahmen grundsätzlich nicht per se unzulässig ist. Eine Beteiligung des Flugschülers an den hohen Ausbildungskosten kann gerechtfertigt sein, wenn die Ausbildung für ihn einen messbaren Marktwert und berufliche Vorteile bietet. - „Betriebliche Gründe“ und Wertlosigkeit der Teilschulung
Anders als das Landesarbeitsgericht meinte das BAG, der Darlehensnehmer (Flugschüler) werde nicht automatisch zur Rückzahlung verpflichtet, wenn der Konzern tatsächlich keinen Bedarf an neuen Piloten hat und ihm deshalb keine Fortsetzung seiner Ausbildung oder keine anschließende Cockpit-Stelle anbietet.- Nach dem Darlehensvertrag kann sich das Rückzahlungsrisiko zugunsten des Flugschülers auf null reduzieren, wenn ihm innerhalb von fünf Jahren aus „betrieblichen Gründen“ kein Piloteneinsatz angeboten wird. In solchen Fällen verzichtet die Airline ausdrücklich auf ihre Forderung.
- Die angebliche „Wertlosigkeit“ der Grundausbildung wird auch relativiert durch die Möglichkeit einer Verwertung auf dem freien Markt. Ein Wechsel zu einer anderen Flugschule war jedenfalls rechtlich nicht ausgeschlossen.
- Bleibedruck und Transparenzgebot
Das BAG sieht nicht pauschal einen unzulässigen „Bleibedruck“. Zwar können Tilgungs- und Zinsklauseln dazu führen, dass junge Auszubildende sich eng an das Unternehmen gebunden fühlen. Eine solche Klausel ist aber nicht automatisch unwirksam. Entscheidend ist eine abwägende Gesamtbetrachtung:- Wie hoch ist der Eigenanteil des Flugschülers?
- Welchen Nutzen hat er von der Ausbildung?
- Besteht eine realistische Chance auf Übernahme oder anderweitige Verwendung der Lizenz?
Ausblick und Bedeutung für die Praxis
Das BAG hat den Fall an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, da noch weitere Feststellungen zu treffen sind, unter anderem zur wirtschaftlichen Werthaltigkeit der Grundausbildung. Entscheidend ist, ob der Flugschüler im Ergebnis tatsächlich einen vermarktbaren Vorteil von seiner Ausbildung mitnimmt.
Für Arbeitgeber (bzw. Flugschulen und Airlines) heißt das Urteil:
- Eine grundsätzliche Kostenbeteiligung der Pilotenanwärter bleibt möglich.
- Es ist jedoch unbedingt darauf zu achten, dass vertragliche Klauseln klar formuliert werden, keine überzogenen Bindungsfristen vorsehen und die Rückzahlungspflicht wegfällt, wenn ein Weiterbeschäftigungsangebot unterbleibt oder andere betriebliche Gründe die Karriereplanung des Flugschülers vereiteln.
Für Flugschüler und Arbeitnehmer wiederum ist wichtig:
- Die Vereinbarung eines (Teil-)Darlehens für die fliegerische Ausbildung ist nicht automatisch unwirksam.
- Wer sich vertraglich zu einer Rückzahlung verpflichtet, sollte genau prüfen, wann und warum dieses Darlehen fällig wird und ob Ausnahmen (z. B. betrieblich nicht zustande gekommene Übernahme) wirksam geregelt sind.
Das BAG verdeutlicht einmal mehr, dass Rückzahlungsklauseln in Aus- und Fortbildungsverträgen nach interessenorientierten Kriterien geprüft werden. Eine pauschale Unwirksamkeit gibt es nicht. Vielmehr kommt es auf eine faire Risikoverteilung, eine klare Formulierung und einen erkennbaren Nutzen für den Ausgebildeten an. Im Ergebnis müssen die Instanzgerichte – wie im vorliegenden Fall – sorgfältig abwägen, ob und in welchem Umfang die Kostenbeteiligung zumutbar ist.
Die aktuelle Entscheidung liefert damit wertvolle Anhaltspunkte, wie Arbeitgeber und Flugschulen die Finanzierung von Schulungen rechtskonform ausgestalten können und wo die Grenzen der Zulässigkeit verlaufen. Für Flugschüler und Arbeitnehmer lohnt sich ein kritischer Blick in die Verträge, um zu beurteilen, ob die Rückzahlungsmodalitäten hinreichend transparent und fair geregelt sind.