Schutz von Geschäftsgeheimnissen und Grenzen pauschaler Verschwiegenheitsklauseln
Zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts, Az. 9 AZR 172/23
Geschäftsgeheimnisschutz, Unterlassungsansprüche und die Grenzen pauschaler Verschwiegenheitsklauseln
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Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen hat in den letzten Jahren im Arbeitsrecht stark an Bedeutung gewonnen. Mit Inkrafttreten des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) am 26. April 2019 ist ein neues, eigenständiges Regelwerk entstanden, das die früheren §§ 17 ff. UWG (a.F.) abgelöst hat.
Zentrale Erkenntnisse des Urteils sind:
- Für zukunftsgerichtete Unterlassungsansprüche wegen Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen kommt ausschließlich das GeschGehG zur Anwendung – auch dann, wenn die rechtsverletzende Handlung (z.B. Verrat) vor dessen Inkrafttreten begangen wurde.
- Eine sogenannte Catch-all-Klausel in Arbeitsverträgen, die pauschal und zeitlich unbegrenzt zur Verschwiegenheit über sämtliche „internen Vorgänge“ verpflichtet, ist unwirksam.
Im Folgenden stellen wir die Hintergründe, die Argumentation des BAG und die praktischen Konsequenzen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer dar.
Sachverhalt und Verfahrensgang
Die Klägerin ist ein Maschinenbauunternehmen, das Füllanlagen für Getränke sowie passendes Verpackungsmaterial herstellt. Der Beklagte war über Jahrzehnte in verantwortlicher Position für das Unternehmen tätig. Noch während seines Arbeitsverhältnisses (2015) hatte er – aus Sicht der Klägerin – sensible technische Daten über die hergestellten Verpackungsmaschinen und die Sleeves (Verpackungshüllen) an einen potenziellen Wettbewerber weitergegeben.
Im Jahr 2016 beendete der Beklagte das Arbeitsverhältnis und wechselte zu einem Kunden der Klägerin. Als die Klägerin später von den vermeintlichen Geheimnisverstößen erfuhr, mahnte sie den Beklagten ab und verlangte gerichtlich eine strafbewehrte Unterlassung der Weitergabe von Informationen. Parallel trat am 26. April 2019 das GeschGehG in Kraft. In den Vorinstanzen blieb die Klägerin mit ihrem Unterlassungsbegehren erfolglos. Schließlich landete der Fall beim BAG.
Kernfragen des Urteils
Anwendung des neuen Geschäftsgeheimnisschutz-Gesetzes (GeschGehG)
Das BAG bestätigt eine wichtige Grundregel: Auch wenn die mutmaßlich rechtsverletzende Handlung (hier: Weitergabe sensibler Daten im Jahr 2015) vor Inkrafttreten des GeschGehG stattgefunden hat, richtet sich ein zukunftsgerichteter Unterlassungsanspruch nach dem neuen Recht.
- Begründung: Bei Unterlassungsansprüchen geht es um die Abwehr drohender künftiger Verletzungen. Das BAG nimmt eine sogenannte „Doppelprüfung“ vor:
- Zum Zeitpunkt der Handlung muss ein Verstoß gegen das damals geltende Recht (hier: frühere §§ 17 ff. UWG) vorgelegen haben.
- Zum Zeitpunkt der letzten Gerichtsentscheidung (jetzt) müssen die Voraussetzungen des GeschGehG erfüllt sein.
Anforderungen an ein „Geschäftsgeheimnis“ nach § 2 Nr. 1 GeschGehG
Das GeschGehG definiert Geschäftsgeheimnisse enger als zuvor das UWG. Gemäß § 2 Nr. 1 GeschGehG ist ein Geschäftsgeheimnis nur dann geschützt, wenn:
- Es sich um Informationen handelt, die nicht allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich sind,
- die einen wirtschaftlichen Wert haben, weil sie geheim sind,
- und angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen vom Inhaber der Information ergriffen worden sind.
Das BAG stellte klar: Obwohl die technischen Daten der Klägerin theoretisch hohe Bedeutung haben können, war nicht hinreichend dargelegt, dass die Klägerin hierfür „angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen“ ergriffen hatte.
- Pauschale Hinweise auf IT-Sicherheit oder Zugangsbeschränkungen reichten dem Gericht nicht aus, um eine stringent organisierte, klar umrissene Geheimnispraxis zu bestätigen.
- Für ein effektives Geheimhaltungsregime muss der Arbeitgeber konkret Beschränkungen und Schutzkonzepte darlegen (wer darf worauf zugreifen, wie ist das Wissen dokumentiert, wie werden Mitarbeiter geschult usw.).
Catch-all-Klauseln in Arbeitsverträgen sind unwirksam
Sehr praxisrelevant ist die Feststellung, dass pauschale Verschwiegenheitspflichten, die „alle internen Vorgänge“ umfassen und zeitlich unbegrenzt gelten, Arbeitnehmer unangemessen benachteiligen.
- Solche Klauseln (oft „Geheimhaltung“ oder „Stillschweigen“ genannt) stoßen auf § 307 BGB (Verbot unangemessener Benachteiligung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen).
- Wer ein wirksames, nachvertragliches „Schweigegebot“ will, muss konkrete Informationen bezeichnen, deren Geheimhaltung wirklich essenziell ist, und eine zeitliche Begrenzung vorsehen.
- Will der Arbeitgeber verhindern, dass ein ausscheidender Arbeitnehmer sein Fachwissen beim nächsten Arbeitgeber einsetzt, bedarf es grundsätzlich eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots nach §§ 74 ff. HGB. Dies wiederum setzt die Zahlung einer Karenzentschädigung voraus.
Ergebnis des Verfahrens
Das BAG hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Die weitreichende Unterlassungsklage scheiterte vor allem daran, dass:
- Kein schützenswertes „Geschäftsgeheimnis“ im Sinne des GeschGehG vorlag. Es fehlte an nachweisbaren, angemessenen Schutzmaßnahmen.
- Die vertragliche Verschwiegenheitsklausel unwirksam war (unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers).
Damit hatte die Klägerin keinen Anspruch auf das begehrte Unterlassungsgebot.
Auswirkungen für die Praxis
Für Arbeitgeber
- Überprüfung bestehender Geheimhaltungsvereinbarungen: Viele Standardklauseln in Arbeitsverträgen, Betriebsvereinbarungen oder Projektdokumenten sind zu pauschal und daher unwirksam.
- Konkretisierung des Schutzgegenstands: Arbeitgeber sollten definieren, welche Informationen (z.B. Konstruktionspläne, Rezepturen, Algorithmen) genau als geheim gelten und warum sie schützenswert sind.
- Angemessene Schutzmaßnahmen: Erforderlich sind
- Technische und organisatorische Zugangs- und IT-Sicherheitskonzepte,
- Vertraulichkeitsschulungen,
- rollenspezifische Vergabe von Rechten,
- schriftliche Dokumentation und regelmäßige Überprüfung der Sicherheitskonzepte.
- Planung nachvertraglicher Wettbewerbsverbote: Soll ein Mitarbeiter sein erworbenes (Spezial-)Wissen nicht beim Konkurrenten verwerten, ist meist §§ 74 ff. HGB einschlägig – mit Entschädigungsanspruch. Ein reiner Verweis auf „Geheimhaltung aller internen Vorgänge“ ohne Karenzentschädigung genügt nicht.
Für Arbeitnehmer
- Klärung der beruflichen Freiheiten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses: Grundsätzlich ist es erlaubt, das bei einem alten Arbeitgeber erworbene Know-how auch woanders zu nutzen – sofern keine wirksamen nachvertraglichen Wettbewerbsverbote bestehen und kein legitimes Geschäftsgeheimnis verletzt wird.
- Achtung bei Verstößen: Wer sensible Informationen tatsächlich missbräuchlich oder rechtswidrig weitergibt, kann sich schadensersatzpflichtig machen und strafrechtlich (§ 23 GeschGehG) in Probleme geraten.
Das aktuelle BAG-Urteil (Az. 9 AZR 172/23) verdeutlicht, dass der Schutz von Geschäftsgeheimnissen seit dem Inkrafttreten des GeschGehG strengere Voraussetzungen hat. Arbeitgeber müssen nachweisen, dass sie einen effektiven und angemessenen Geheimnisschutz etabliert haben. Gleichzeitig sind umfassende Catch-all-Verschwiegenheitsklauseln rechtlich unwirksam, weil sie die berufliche Freiheit ehemaliger Arbeitnehmer unzulässig einschränken.
Wer als Arbeitgeber seine Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse effektiv wahren möchte, sollte daher:
- bestehende Geheimhaltungsklauseln auf ihre Wirksamkeit überprüfen,
- klare Schutzkonzepte umsetzen und dokumentieren,
- bei kritischem Know-how ggf. wirksame Wettbewerbsverbote mit Karenzentschädigung vereinbaren.
Dieses Urteil stärkt einerseits die Rechte der Arbeitnehmer und setzt andererseits hohe Standards für den betrieblichen Geheimnisschutz. Für Unternehmen lohnt es sich, jetzt proaktiv zu prüfen, ob ihre Regelungen mit den Vorgaben des GeschGehG sowie der Rechtsprechung des BAG konform gehen.
Hinweis: Dieser Blogartikel stellt keine Rechtsberatung dar, sondern dient ausschließlich der Information. Für Fragen zu Ihrem konkreten Anliegen wenden Sie sich bitte an einen spezialisierten Rechtsanwalt.
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BAG, 17.10.2024 - 8 AZR 172/23